Europarat und Europäische Sozialcharta
Der Europarat wurde 1949 gegründet und ist die führende Organisation für Menschenrechte in Europa. Die Europäische Sozialcharta wurde vom Europarat initiiert und 1961 von einer Mehrheit seiner Mitglieder beschlossen.
Der Europarat
Der Europarat hat 46 Mitgliedsstaaten, darunter die 27 EU-Staaten. Alle Mitgliedsstaaten haben die Europäische Menschenrechtskonvention gezeichnet, ein Vertrag zum Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.
Der Europarat arbeitet eng mit der Europäischen Union zusammen und kooperiert mit den Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie mit Partnerländern in Nachbarregionen und der ganzen Welt.
Schwerpunkt der Arbeit des Europarates ist neben der Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes die Heranführung der neuen Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa an die europäischen Strukturen.
Die Europäische Sozialcharta (ESC)
Bei der Europäischen Sozialcharta handelt es sich um ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, das der Bevölkerung innerhalb der Unterzeichnerstaaten umfassende soziale Rechte garantiert.
Im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte ist die ESC das Gegenstück zur Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK), die den Schutz der bürgerlichen und politischen Grundrechte und Grundfreiheiten gewährleistet.
Geschichte der Europäischen Sozialcharta
Die ESC wurde am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichnet und trat am 26. Februar 1965 in Kraft. Österreich hat die ESC am 10. September 1969 ratifiziert.
Am 1. Mai 2011 hat Österreich die als revidierte Europäische Sozialcharta bezeichnete überarbeitete Fassung der Europäischen Sozialcharta ratifiziert.
Die revidierte Europäische Sozialcharta wurde 1996 angenommen und ersetzt seitdem nach und nach die Charta von 1961. Sie wurde bisher von 35 Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert und unterliegt demselben Überwachungsmechanismus wie die Charta von 1961. Sieben Mitgliedstaaten sind nach wie vor an die Charta von 1961 gebunden.
Soziale und wirtschaftliche Grundrechte
Die revidierte Europäische Sozialcharta erweitert und modernisiert die Charta von 1961 und enthält in 31 Artikeln soziale und wirtschaftliche Grundrechte in folgenden Bereichen:
Erwerbstätigkeit, Bildung und Chancengleichheit
Recht auf Arbeit, einschließlich Berufsberatung und berufliche Ausbildung, Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz, Verbot der Zwangsarbeit, Recht der Menschen mit Behinderung auf Eigenständigkeit, soziale Eingliederung und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft, Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien, Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Recht auf Schutz bei Kündigung, Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Schutz ihrer Forderungen bei Zahlungsunfähigkeit ihrer Arbeitgeberin bzw. ihres Arbeitgebers.
Gesundheit, Sozialversicherung und sozialer Schutz
Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, Recht auf Schutz der Gesundheit, Recht auf soziale Sicherheit, Recht auf soziale und ärztliche Hilfe (Fürsorge), Recht auf Inanspruchnahme sozialer Dienste, Recht älterer Menschen auf sozialen Schutz, Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung.
Arbeitsbedingungen
Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen und faires Entgelt, Vereinigungsrecht und Recht auf Kollektivverhandlungen, Recht auf Unterrichtung und Anhörung und Recht auf Beteiligung an der Festlegung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumwelt, Recht auf Würde am Arbeitsplatz, Recht der Arbeitnehmervertretungen auf Schutz und Erleichterungen im Betrieb, Recht auf Unterrichtung und Anhörung in den Verfahren bei Massenentlassungen.
Kinder, Familien und Ausländer
Recht der Kinder und Jugendlichen auf Schutz, Recht der Arbeitnehmerinnen auf Mutterschutz, Recht der Familien auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz, Recht der Kinder und Jugendlichen auf Schutz außerhalb der Arbeitswelt, Recht der Wanderarbeitnehmerinnen und Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand, Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Familienpflichten auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung, Recht auf Wohnung.
Umsetzung und Überwachung der Europäischen Sozialcharta
Die Einhaltung der in der Europäischen Sozialcharta festgesetzten Normen wird im Rahmen einer jährlichen Berichterstattung der Mitgliedstaaten von einem hochrangigen Sachverständigenausschuss sowie von dem aus Vertreterinnen und Vertretern der Vertragsstaaten gebildeten Regierungsausschuss überwacht.
Das Ministerkomitee als Entscheidungsorgan des Europarates kann notwendige Empfehlungen an die betroffenen Regierungen richten.
Die Österreichische Regierung hat dem Europarat im Februar 2022 den 10. Bericht über die Umsetzung der revidierten Sozialcharta (betreffend die Artikel 2, 4, 5, 6, 26 und 28) übermittelt. Der Bericht kann auf der Homepage des Europarats abgerufen werden.
Europarat und Gleichstellung der Geschlechter
Geschlechtergleichstellung bedeutet nicht nur rechtliche Gleichstellung, sondern auch gleiche Macht, gleiche Sichtbarkeit, gleiches Empowerment und gleiche Mitwirkung auf allen Ebenen in allen privaten und öffentlichen Bereichen sowie gleicher Zugang zu und Verteilung von Ressourcen.
In den letzten Jahren wurden auf rechtlicher Ebene große Fortschritte erzielt, die tatsächliche Gleichstellung ist jedoch immer noch nicht erreicht. Der „gender pay gap", das Festhalten an traditionellen Rollen, Ungleichgewichte in Führungspositionen und die überwiegend von Frauen bewältigten Betreuungspflichten sorgen immer noch für Diskriminierungen in der Arbeitswelt.
Für den Europarat ist das Erreichen von Geschlechtergleichstellung ein wesentlicher Bestandteil des Menschenrechtsschutzes, die Basis einer funktionierenden Demokratie und von Rechtsstaatlichkeit.
Der Europarat hat zahlreiche rechtliche Standards entwickelt, die dazu dienen, tatsächliche Gleichstellung zu erreichen. Seit 2012 gibt es das Transversal Programme on Gender Equality, das die derzeitigen Prioritäten im Gleichstellungsbereich beinhaltet:
- Bekämpfung von Geschlechterstereotypen und Sexismus mit besonderem Fokus auf Medien
- Gleicher Zugang von Frauen zum Recht (Equal Access of Women to Justice)
- Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
- Erreichen einer ausgeglichenen Beteiligung von Männern und Frauen an der politischen und öffentlichen Entscheidungsfindung
- Gender Mainstreaming in allen Bereichen und für alle Maßnahmen des Europarates
Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter 2018-2023
Die neue Strategie, die am 7. März 2018 verabschiedet wurde, baut auf dem umfangreichen rechtlichen und politischen Besitzstand des Europarates in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter sowie auf den Errungenschaften der ersten Gleichstellungsstrategie des Europarates 2014-2017 auf. Sie verknüpft diese sowohl mit dem aktuellen wirtschaftlichen Kontext als auch mit den politischen Hebeln innerhalb des Europarates, einschließlich der übergreifenden Prioritäten der Organisation. Die neue Strategie umreißt die Ziele und Prioritäten des Europarates zur Gleichstellung der Geschlechter für die Jahre 2018-2023, identifiziert Arbeitsmethoden und Hauptpartner sowie die erforderlichen Maßnahmen, um die Sichtbarkeit der Ergebnisse zu erhöhen.
Aktivitäten und Maßnahmen auf nationaler Ebene, die zur Erreichung der Ziele der Gleichstellungsstrategie des Europarates 2018-2023 beitragen, können auf der Homepage des Europarates abgerufen werden.