EU-Wettbewerbsrat einigt sich auf europäisches Chip-Gesetz
European Chips Act: Wichtiger Schritt zur Stärkung der strategischen Autonomie Europas
Beim letzten EU-Wettbewerbsrat unter tschechischem Vorsitz, konnten die EU-Wirtschaftsministerinnen und -minister bei den Verhandlungen zum European Chips Act eine Einigung erzielen. Insgesamt 43 Milliarden Euro an Investitionen bestehend aus privaten und öffentlichen Mittel sollen in Zukunft für die Forschung und Produktion der europäischen Halbleiterindustrie bereitgestellt werden. Die europäische Staatengemeinschaft erhofft sich damit den EU-Marktanteil an der globalen Chip-Produktion bis 2030 von 10 auf 20 Prozent zu verdoppeln.
Bereits am 8. Februar 2022 hatte die EU-Kommission ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgeschlagen, um der, vor allem während der COVID-19-Pandemie, stark gestiegene Halbleiterknappheit entgegenzuwirken. Auch durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine kämpft die europäische Technologiebranche immer wieder mit Lieferkettenunterbrechungen. Vor allem vor dem Hintergrund großer Investitionen anderer mit Europa konkurrierender Drittstaaten, wie z.B. den USA oder China, möchte die EU deshalb die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz Europas stärken, sowie die Versorgungssicherheit und die technologische Führungsrolle der EU in den Bereichen Halbleiter-Technologie und -Anwendungen absichern.
Mikrochips gelten als Erdöl des 21. Jahrhunderts und dienen als Basistechnologie für zahlreiche Sektoren. Elektronik und Mikroelektronik, Schlüsseltechnologien für zahlreiche neue Entwicklungen wie Digitalisierung, Automatisierung und Industrie 4.0 und sind somit essentiell für neue Produktions- und Fertigungsformen. Halbleiter, die die materielle Grundlage für Chips bilden, befinden sich damit in praktisch jedem Technologieprodukt und stellen somit die Basis für die digitale und grüne Transformation dar.
Forschung und Produktionsaufbau im Fokus
Folgende konkrete Maßnahmen sind im europäischen Chips-Gesetz vorgesehen:
- Mit der Initiative "Chips für Europa" sollen die bestehenden Ressourcen gebündelt und im Zuge des bereits bestehenden und zusammen mit der Industrie, Mitgliedstaaten und EU-Kommission agierenden Gremiums "Gemeinsame Unternehmen für digitale Schlüsseltechnologien" zum "Gemeinsamen Unternehmen für Chips" umbenannt und strategisch neu ausgerichtet werden.
- Um Forschung, Entwicklung und Innovation zu stärken, sollen insgesamt 11 Milliarden Euro gebündelt werden. Sie sollen in bereits existierende Forschungsinitiativen fließen. Ziel ist es, Fachkräfte auszubilden, moderne Werkzeuge für die Halbleiter-Herstellung bereitzustellen sowie Pilotproduktionslinien für Prototypen, Tests und Experimente aufzubauen.
- Ein Chip-Fonds wird zudem Start-up-Unternehmen den Zugang zu Finanzmitteln erleichtern, um deren Innovationen zur Marktreife zu bringen sowie Investorinnen und Investoren anziehen zu können.
- Im European Chips Act wird auch ein neues Label für innovative Halbleiter-Unternehmen eingeführt, das als Anreiz für Investitionen und verbesserte Produktionskapazitäten dienen soll. Mit diesem Label ausgestattete Unternehmen sollen noch rascher zu staatlichen Förderungen kommen und können, sofern dies auch im jeweiligen Mitgliedsstaat vorgesehen ist, auf beschleunigte Genehmigungsverfahren bei der Eröffnung neuer Produktionsanlagen hoffen.
- Zudem ist ein Krisen-Mechanismus für die Koordinierung zwischen Mitgliedstaaten und EU-Kommission in der Verordnung vorgesehen. Dies soll das Angebot an Halbleitern beobachten, die Nachfrage abschätzen und so Engpässe bekämpfen.
Finanzierung als größter Brocken in den Verhandlungen
Zur Umsetzung all dieser Vorhaben sind insgesamt politikgesteuerte Investitionen in Höhe von mehr als 43 Milliarden Euro vorgesehen. Im ursprünglichen Vorschlag waren jedoch nur 3,3 Milliarden Euro an wirklichen EU-Mittel eingeplant. Der VO-Vorschlag beinhaltet dabei keine eigene Finanzausstattung, sondern soll durch eine Umschichtung aus bestehenden Programmen, wie Horizon Europe und Digital Europe unterstützt werden. Um diese Umschichtungen vor allem beim wichtigen Forschungsförderprogramm Horizon Europe zu kompensieren, schlug die EU-Kommission vor den bereits beschlossenen Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2023-2027 nochmal aufzuschnüren und durch 400 Mio. Euro zu ergänzen. Diesem Vorschlag konnten die Mitgliedstaaten nicht zustimmen, weshalb die EU-Kommission aufgefordert wurde dafür neue Finanzierungsvorschläge vorzulegen.
Die nächsten Schritte im legislativen Prozess
Parallel zum Rat beschäftigt sich auch das Europäische Parlament mit dem Vorschlag. Der für dieses Dossier federführend zuständige Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) wird voraussichtlich im Jänner 2023 über den European Chips Act abstimmen. Ab Februar könnten die Triloge zwischen Rat, EU-Kommission und Parlament starten. Diskutiert werden sollen dabei vor allem die noch offenen Finanzierungsfragen.
Hintergrundinformationen zur Halbleiterindustrie:
Von den weltweit fünfzehn größten Halbleiterherstellern haben acht Unternehmen ihren Firmensitz in den USA, vier in Asien und nur drei in Europa. Aufgrund der hohen Investitionskosten (der Bau einer modernen Chip-Fabrik erfordert Investitionen von rund 20 Milliarden Euro) hat sich die Herstellung von Chips in den letzten Jahren stark konzentriert. Die leistungsfähigsten Chips werden derzeit lediglich in weltweit zwei Fabriken hergestellt (TSMC in Taiwan & Samsung in Südkorea).
In Österreich arbeiten rund 65.000 Beschäftigte in fast 200 Unternehmen an nahezu 100 Standorten in der Elektronikbranche. Diese starke Position basiert auf Hard- und Software-Exzellenz und integrierten Systemen. Um Innovationen entlang der Wertschöpfungskette zu stimulieren, werden dabei vor allem Technologiefelder mit gesellschaftlichen Herausforderungen, wie z.B. in Bezug auf die grüne Transformation, kombiniert.